Die überwiegende Mehrheit der Bundesbürger vertraut dem Wasser, das daheim aus Hahn und Duschbrause rinnt. „Das am besten kontrollierte Lebensmittel überhaupt“, so heißt es von allen Seiten.
Bei solcher Einmütigkeit verwundert allerdings der gewaltige Anstieg des Mineralwasserkonsums. Satte 144,3 Liter gekauftes Flaschenwasser hat der Durchschnittsdeutsche im letzten Jahr getrunken; 1990 waren es noch 82,7 Liter, 1970 gar nur 12,5 Liter! Ausgerechnet das am schnellsten wachsende Segment: stilles Wasser ohne Kohlensäure. – Grund genug, einmal einen genaueren Blick auf den sogenannten „Gänsewein“ zu werfen.
1.) Kann Wassertrinken tödlich sein?
Im Januar 2007 veranstaltet ein Radiosender ein Wasser-Wetttrinken, bei dem der Sieger eine Spielkonsole gewinnen kann. Die 28-jährige Jennifer Strange will den Preis für ihre drei Kinder unbedingt holen und hält eisern mit. Nach 8 Litern kann sie nicht mehr, Jennifer wird Zweite – und stirbt wenige Stunden später: Das viele Trinken hatte das Salz aus ihren Zellen regelrecht weggespült, die Nieren streikten, Wasser sammelte sich im Hirngewebe, die Lungen versagten.
Dieser Extremfall sollte vor allem Hobby-Sportlern zu denken geben. „Bei einem mittelgroßen Marathon von ungefähr 10.000 Läufern kommt es bei einem Drittel, also 3.000 Leuten, zu messbaren Störungen durch zu viel Wasser“, warnt Sportmediziner Johannes Scherr. So starb 2005 in Frankfurt ein Läufer, weil er ausschließlich Leitungswasser getrunken hatte.
2.) Beste Wasserqualität?
Durchs Internet geistert eine schockierende Studie, die vor einigen Jahren von der UNESCO veröffentlicht wurde. Dort wurde die weltweite Trinkwasserqualität unter die Lupe genommen. Deutschland landete mit seinem „am besten kontrollierten Lebensmittel“ gerade einmal auf Platz 57 – weit abgeschlagen hinter Mali, El Salvador und Botswana!
Das stimmt allerdings nicht. Mittlerweile musste die UNESCO zugeben, dass dieses Ranking ungeprüft von einer älteren Studie übernommen worden war, die als sehr zweifelhaft einzuschätzen ist. Die UNESCO nahm die Veröffentlichung sofort zurück. Auffällig ist, dass die Studie weiterhin verbreitet wird – vornehmlich von Firmen, die Trinkwassersysteme und Aufbereitungsanlagen verkaufen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt …
3.) Kommt Leitungswasser aus der Kläranlage?
Was im Siphon verschwindet, landet irgendwann als braune Suppe in der Kläranlage. Aber wird das Wasser aus der Kläranlage gleich wieder in die Wasserrohre eingespeist?
Nein. 70 Prozent des Leitungswassers werden aus dem Grundwasser gewonnen, der Rest aus Gewässern. Die Natur hat so Gelegenheit, das Abwasser noch einmal gründlich zu filtern. Im Umkehrschluss bedeutet das allerdings auch, dass sämtliche Schadstoffe, die die Kläranlage nicht beseitigen kann, in der Natur landen.
4.) Sind Schadstoffe im Leitungswasser?
Im April 2016 kam es zu einem Schritt, der seinesgleichen sucht: Deutschland wurde von der EU verklagt, da das hiesige Grundwasser extrem mit Nitrat belastet ist. Trotz mehrfacher Mahnungen war die Praxis der Landwirte, ihre Felder mit Gülle zuzuschütten, einfach weiter geduldet worden. Doch dabei bleibt es nicht: Auch Spuren von Arzneimitteln, Pestiziden und radioaktivem Uran wurden im Trinkwasser gefunden.
Im Moment sei das alles noch gesundheitlich unbedenklich, geben selbst Umweltverbände zu. Gleichzeitig warnen die Experten jedoch: Die Schadstoffe reichern sich im Grundwasser an. Wenn sich nicht bald etwas ändert, könnten die Folgen verheerend sein.
5.) Machen Plastikflaschen fruchtbar?
Flaschenwasser ist in gleicher Weise von der Schadstoffbelastung betroffen. Darüber hinaus haben Forscher jedoch eine ganz besondere Entdeckung gemacht: In Wasser aus PET-Flaschen befänden sich Substanzen, die dem weiblichen Sexualhormon Östrogen gleichen. Die Forscher vermuteten, dass sich Stoffe aus dem Plastik lösen und dann hormonähnlich wirken. So legten Wasserschnecken in PET-Flaschenwasser gleich doppelt so viele Eier wie in Wasser, das in Glasflaschen serviert wurde.
Als die Studie wiederholt wurde, konnte der Fund jedoch nicht bestätigt werden. Dagegen fand man erhebliche Konzentrationen an Mikroplastik. Wer sich Leitungswasser für unterwegs mitnehmen möchte, sollte also auch hierbei auf Plastikflaschen verzichten. Besser für die Umwelt ist das allemal.
6.) Soll man für Mineralstoffe Mineralwasser trinken?
Grundsätzlich erhält unser Körper bereits übers Essen sämtliche Mineralstoffe, die er braucht. Mineralwasser ist dahingegen nicht gesünder als etwa destilliertes Wasser – dass man destilliertes Wasser nicht trinken darf, ist im Übrigen Quatsch, sagt Professor Hans Oberleithner vom Institut für Physiologie an der Universität Münster. Die Stiftung Warentest deckte allerdings etwas anderes auf: Ausgerechnet Mineralwasser enthält oft ausgesprochen wenig Mineralien! Seit einer Regelung aus dem Jahr 1980 ist das völlig legal. Damals wurden die strengen Kriterien für Mineralwasser abgeschafft.
Nicht selten filtern die Hersteller die Mineralien sogar extra heraus, damit ihr Wasser möglichst neutral schmeckt. Wer seinen Zellen zusätzlich Kalzium, Magnesium & Co. zuführen möchte, trinkt daher lieber Leitungswasser.
7.) Ist hartes Wasser schädlich?
Selbst sehr hartes Leitungswasser führt nicht zu einer Verkalkung der Arterien. Mineralien, die der Körper nicht braucht, werden mit dem Urin ausgeschüttet. Haare und Haut werden hingegen von kalkhaltigem Wasser durchaus beansprucht.
Hartes Wasser birgt allerdings noch eine weit größere (indirekte) Gefahr: Feinschmecker, die ihr Glas Wasser oder ihren Tee ohne weißen Kalkfilm genießen wollen, verwenden gern Wasserfilter. Labortests fanden jedoch heraus, dass sich in solchen Filtern Keime extrem vermehren. Für empfindliche Mägen ist das nichts – erst recht nicht für Säuglingsnahrung! Auch im Perlator des Wasserhahns kann hartes Wasser die Keimbelastung erhöhen. Ihn sollte man daher regelmäßig entkalken.
8.) Woher kommt der Mineralwasser-Boom?
Mineralwasser schmeckt vielen einfach besser. Den großen Erfolg des Flaschenwassers schreiben Experten allerdings zwei Faktoren zu: zum einen geschickter Werbung, zum anderem dem Siegeszug der PET-Flasche. Seit Wasser palettenweise im Supermarkt steht, sind die Sechserträger hierzulande genauso selbstverständlich wie in Ländern, in denen das Leitungswasser tatsächlich ungenießbar ist. Den Händler freut’s: Statt 0,2 Cent pro Liter zahlt der Kunde im Discounter 13 Cent, für Wasser aus der Glasflasche sogar mehr als das 250-Fache.
9.) Alles unter Kontrolle?
Das Leitungswasser ist in Deutschland von erstklassiger Qualität – zumindest bis zur Haustür. Ab dann ist der Hauseigentümer verantwortlich. In Nord- und Ostdeutschland befinden sich in manchen Altbauten immer noch Bleirohre. Das Blei gelangt über das Leitungswasser ins Blut, die Nieren und ins Nervensystem. Vor allem Babys sind dadurch gefährdet. Teilweise wurden früher auch Wasserleitungen aus Kupfer verlegt. Das Kupfer kann zu Leberschäden führen.
Wer Bedenken hat, sollte sein Trinkwasser aus diesem Grund unbedingt testen lassen. Oft bietet diesen Service der örtliche Wasserversorger an. Schnelltests, die man über das Internet bestellen kann, sind erheblich teurer. Der Vermieter ist verpflichtet, die Rohre auszutauschen.
Fazit: Wasser trinken ist gesund. Die Vorteile von Mineralwasser halten sich allerdings in Grenzen. Auf der anderen Seite ist Leitungswasser auch nicht immer völlig unbelastet. Darüber, was einem besser schmeckt, lässt sich ohnehin nicht streiten. Wie so oft lohnt es sich aber, die alltäglichen Gewohnheiten einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.